Zum ersten Mal schöpfte sie Hoffnung. Dann kam der Aufnahmestopp.

Kabul Luftbrücke

19. Juni 2023- Lesezeit: 4 min

Maryam: Zum ersten Mal schöpfte sie Hoffnung. Dann kam der Aufnahmestopp.

Bevor die Taliban die Macht übernahmen, war Maryam Mozaffari (Name geändert) Abteilungsleiterin in einer afghanischen Behörde gewesen. In ihrer Arbeit ging es um Geschlechtergleichheit. Sie organisierte Veranstaltungen zur Förderung von Frauenrechten, entwickelte Ausbildungseinheiten, vernetzte sich im afghanischen Parlament mit anderen Frauen in der Politik.

Maryam ist gelernte Anwältin, vor ihrer Arbeit in der afghanischen Regierung hat sie Frauen verteidigt, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Nebenher hat sie für EUPOL und die GIZ  Rechtsstaatlichkeitskurse für Polizist:innen und Staatsanwält:innen gegeben.

Die Machtübernahme der Taliban veränderte alles.

„Ich war immer die Versorgerin in unserer Familie. Meine Kinder, meine Mutter, meine jüngeren Geschwister sind finanziell von mir abhängig, ich habe für sie mitverdient. Nun zwingen die Taliban mich dazu, mich zu Hause zu verstecken“, schildert sie. „Mir fällt es manchmal schwer meiner Familie in die Augen zu sehen, uns geht es schlecht und ich kann kaum etwas tun.“

Sie überlebte knapp einen Taliban-Anschlag und wird weiter bedroht

Bereits vor der Machtübernahme der Taliban wurde Maryam durch lokale Talibannetzwerke bedroht. Ihre Vorgängerin in der Behörde wurde durch eine Autobombe ermordet. Auch auf Maryam gab es einen Anschlag, sie überlebte durch Glück. Für ihre Arbeit in der afghanischen Regierung und mit der GIZ erhielt sie zahlreiche Drohbotschaften.

Maryam und ihre Familie tauchten unmittelbar nach der Machtübernahme der Taliban unter. Sie erfuhr später, dass ihr Haus und Auto konfisziert worden waren, die Taliban suchten auch bei Verwandten nach ihr. Auf WhatsApp erhielt Maryam Todesdrohungen, sie wechselte ihre Nummern, zog regelmäßig um. Dennoch kommen weiter Drohungen zu ihr durch.

“Erst vor Kurzem erhielt ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer, jemand beschimpfte und bedrohte mich in Pashto. Er sagte, dass sie mich finden und töten würden”, berichtet sie.

Kurz nach der Machtübernahme der Taliban versuchte Maryam mit ihrer Familie nach Pakistan zu fliehen – irregulär, denn sie konnten sich die Visa nicht leisten. Der Versuch blieb ohne Erfolg, sie mussten umkehren. „Ein afghanischer Grenzbeamter fing uns ab, er schlug meinen Mann und meinen Sohn. Er erkannte, dass wir Hazara sind, beschimpfte uns und schickte uns zurück.“

Seither verstecken Maryam und ihre Familie sich an verschiedenen Adressen. Gelegentlich kann sie online für eine ausländische Organisation arbeiten. Aber das Einkommen reicht nicht, um die Familie zu versorgen.

„Ich kann nicht mehr in Afghanistan leben, ich habe Tag und Nacht Angst“, sagt sie. „Aber wir können auch nicht in ein Nachbarland fliehen. Es ist gefährlich, illegal nach Pakistan oder in den Iran zu migrieren. Und selbst wenn wir es schaffen“, fügt sie hinzu, „wir wissen nicht, wo wir unterkommen und wovon wir dort leben sollen.“

Ein Jahr lang sucht Maryam nach Hilfe. Dann schöpft sie Hoffnung…

Maryam hält seit Jahren Kontakt zur Deutschen Cornelia Taylor, mit der sie bei EUPOL zusammengearbeitet hat und die mittlerweile für eine andere internationale Organisation arbeitet. Cornelia hat zahlreiche E-Mails für sie geschrieben, mit seitenlangen Dossiers, Fotos, Nachweisen. Fast ein Jahr lang erhielt sie keine Antwort.

Trotz ihrer guten Kontakte findet Cornelia niemanden, der sich dem Fall der Frauenrechtlerin und ehemaligen hochrangigen Regierungsmitarbeiterin Maryam annehmen will. Schließlich hat Maryam Glück im Unglück: Eine Mitarbeiterin bei Kabul Luftbrücke stößt auf ihren Fall, sie meldet sie beim Aufnahmeprogramm der Bundesregierung an.

„Ich wünschte, ich könnte allen Menschen in Afghanistan, die wie Maryam akut gefährdet sind, sagen, dass sich das Warten lohnt, dass es für sie früher oder später einen Weg geben wird, sich zumindest zu bewerben für ein Aufnahmeprogramm. Wenn schon nicht direkt bei der Regierung, dann über uns“, sagt Therese Herrmann von Kabul Luftbrücke. „Aber das stimmt nicht. Wir haben über 40.000 Fälle in unserer Datenbank, Maryam hatte schlicht Glück, dass wir auf sie gestoßen sind. Es ist sehr aufwändig, einen Fall zur Bewerbung im Aufnahmeprogramm vorzubereiten. Wir können das nur für sehr wenige Fälle tun.“

Nachdem Maryam endlich einen Weg gefunden hatte, ihren Fall im Aufnahmeprogramm einzureichen, wird sie nach relativ kurzer Zeit durch einen Dienstleister der Bundesregierung kontaktiert. Ihr Fall ist in die Vorauswahl gekommen. Die vielen Nachweise über ihre Arbeit und ihre Gefährdung, die Maryam eingereicht hat, hatten endlich etwas gebracht.

„Wir waren oft kurz davor, trotz der Illegalität und der fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven in ein Nachbarland zu fliehen. Wir können hier nicht mehr leben“, sagt Maryam. „Aber die Aussicht, in das Aufnahmeprogramm der Deutschen Regierung kommen zu können, hat mich hoffen lassen.“

Dann kam der Aufnahmestopp, im März 2023, ohne Vorankündigung.

…bis zum Aufnahmestopp

„Maryam hat es sehr stoisch genommen“, erzählt Therese von Kabul Luftbrücke. „Sie hat bloß gesagt: ‘Was bleibt uns übrig, wir müssen das akzeptieren, und warten.’“ „Dabei musste sie erst vor wenigen Wochen wieder ihren Wohnort wechseln, weil sie erneut bedroht wurde.“

Anders formuliert es Cornelia, ihre ehemalige Kollegin: „Mir wird wirklich schlecht, wenn ich über die möglichen Konsequenzen der Verzögerungen nachdenke. Eine Familie, die in Frieden und Freiheit leben könnte und so viel beizutragen hat “, sagt sie. „Oder eine völlig zerstörte Familie, ohne Mutter, ohne Einkommen und ohne Sicherheit.“

Reality Check ist eine Kampagne von @kabulluftbruecke, @medicointernational, @lsvdbundesverband und @artistsatrisk.

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