Von zwei Seiten angegriffen: Afghanische Staatsanwälte bleiben in Gefahr

Kabul Luftbrücke

19. Juni 2023- Lesezeit: 3 min

Ahmad: Von zwei Seiten angegriffen: Afghanische Staatsanwälte bleiben in Gefahr

Die Aussetzung der Visaverfahren hat allen Afghan*innen mit einer Aufnahmezusage für Deutschland die lange erhoffte Rettungsleine durchtrennt. Wieder einmal sehen sich Afghan*innen von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, in Angst und Ungewissheit zurückgelassen.

Jurist*innen sind in Afghanistan besonders gefährdet. Nicht nur stehen sie im Visier der Taliban, auch werden sie nun von rechten deutschen Medien ins Visier genommen. Die deutsche Regierung ist deshalb in der Pflicht, ihren Schutz zu gewährleisten.

Ahmad* ist ein bekannter Staatsanwalt, der wegen des persönlichen Risikos, das er durch die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten im Bereich der öffentlichen Sicherheit einging, eine Zusage für Deutschland erhielt. Er hat Rechtswissenschaften studiert und einen Masterabschluss in Kriminologie. Nach Abschluss seines Studiums war Ahmad über 15 Jahre lang als Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft tätig.

Angegriffen von den Taliban

Er nahm an zahlreichen Prozessen gegen Schwerverbrecher und an Ermittlungen in Gefängnissen teil, was bereits extrem gefährlich war, noch bevor die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernahmen. Inzwischen sind Juristen noch extremerer Verfolgung und Angriffen ausgesetzt, erklärt Ahmad.

„Ich denke, Richter und Staatsanwälte sind die zwei Gruppen, die wegen ihrer Arbeit zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit am meisten gefährdet sind. Die Taliban haben mehrmals versucht, mich zu verhaften.“

„Ich habe gegen viele Kriminelle, die Mitglieder der Taliban sind, ermittelt und sie strafrechtlich verfolgt… Die Taliban haben sich mein Gesicht eingeprägt… Sie haben vor dem Sturz der alten Regierung viele Staatsanwälte getötet und verfolgen uns auch jetzt noch. Aber jetzt haben wir nicht mal mehr einen Schutz durch die Regierung. Sie sind jetzt selbst die ‚Regierung‘.“

Da er in den letzten zwei Jahren nicht mehr arbeiten konnte, verkaufte Ahmad sein Haus, um seine Familie zu ernähren und das Visum für den Iran zu bezahlen. Die Reise zur deutschen Botschaft im Iran sollte sein Fluchtweg in die Sicherheit sein.

Aber Ahmad kann nicht von dort nach Deutschland reisen. Im März 2023 kündigte die deutsche Regierung eine Aussetzung der Visabearbeitung für Afghan*innen mit Einreiseerlaubnis nach Deutschland an.

„Die Nachricht von der Aussetzung der Visaerteilung für Deutschland hat bei uns große Verzweiflung und Angst ausgelöst. Die Taliban sind auf der Suche nach Menschen mit deutscher Anerkennung. Sie haben meinen Kollegen verhaftet, und wir wissen nicht, ob er noch am Leben ist.“

Neben den Verhaftungen sollen in den letzten Wochen auch zwei ehemalige Richter von den Taliban getötet worden sein.

Angegriffen von rechten Medien in Deutschland

Nach einer Flut falscher Medienberichte über afghanische Jurist*innen werden ihre Fälle von der Regierung noch genauer unter die Lupe genommen. Diese Lügen, die für Schlagzeilen sorgen, treffen einige der bedrohtesten Afghan*innen. Ahmads Fall ist einer von denen, die ohne Erklärung einer weiteren Prüfung unterzogen werden.

„Ich weiß nicht, was das Problem ist oder warum sie unseren Fall noch einmal überprüfen, aber es hat uns noch mehr Schwierigkeiten und Komplikationen beschert.

„NGOs, die uns normalerweise unterstützen sollten, können dies nicht tun, da sie auf die endgültige Entscheidung der Regierung warten müssen“, erklärt Ahmad. Das bedeutet, dass Ahmad auch nach der Wiederaufnahme des Programms in der Schwebe bleibt und ohne jegliche Unterstützung dasteht, bis sein Fall überprüft wurde.

Mit dem Aufnahmestopp spitzen sich die Probleme zu

In den letzten Tagen und nach der Verhaftung seines Kollegen floh Ahmad in den Iran, um zu überleben. Seine Frau, die hochschwanger ist, und die Kinder sind bei ihm. Sie haben Mühe, sich zu ernähren, sind bei vertrauten Freunden untergetaucht und warten angespannt ab, was passiert.

Ahmad und seine Familie stehen vor neuen Hürden. Er macht sich Sorgen darüber, wo sein Kind zur Welt kommen wird und dass ihre deutschen Visa erst nach der Wiederaufnahme des Programms von der Botschaft in Pakistan ausgestellt werden.

„Jetzt, da die deutsche Botschaft im Iran uns [bei der Wiederaufnahme des Programms] keine Visa mehr ausstellen wird, wird die Situation für viele noch schwieriger… [die Reise über den Iran] ist für viele Menschen aus den Provinzen Afghanistans einfacher und billiger als die Reise nach Pakistan“.

Der erfolgreiche Staatsanwalt kämpft weiter um sein Überleben und das seiner Familie. Er träumt davon, in Sicherheit zu gelangen und sein Leben wieder zu leben.

„Mein Ziel ist es, genau wie ein Deutscher zu werden… Ich möchte in meinem Beruf arbeiten. Ich möchte auch in Deutschland Anwalt werden und der Gesellschaft dienen.“

Ahmads Träume scheinen weit davon entfernt zu sein, in absehbarer Zeit Wirklichkeit zu werden.

Reality Check ist eine Kampagne von @kabulluftbruecke, @medicointernational, @lsvdbundesverband und @artistsatrisk.

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